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Der diesjährige

Sommerempfang der Lebenshilfe Freising

fand am Donnerstag, den 18. Juli 2024, ab 18:00 Uhr in der Aula des Bildungszentrums Gartenstraße (BiG) statt. Die Veranstaltung wurde von etwa 130 geladenen Gästen besucht, die unter anderem eine inspirierende Rede des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Jürgen Dusel, erwartete. Zudem wurde unter der Moderation von Geschäftsführer Johannes Reicheneder gemeinsam mit Selbstvertreter*innen über die Bezeichnung „Menschen mit (geistiger) Behinderung“ diskutiert.

Sommerempfang: Inklusion ist kein Modewort, sondern eine Notwendigkeit für eine demokratische Gesellschaft

Den Auftakt in den Abend gestaltete die langjährige Vorstandsvorsitzende Monika Haslberger, die mit ernsten Worten auf die zunehmende rechte Hetze in der Gesellschaft hinwies. Haslberger feiert 2024 25-jähriges Jubiläum, für das sie am Ende der Veranstaltung von ihrem Stellvertreter Robert Wäger geehrt wurde.

Begrüßungsworte von Monika Haslberger: „Es gibt bedenkliche, rechte Entwicklungen in unserer Gesellschaft.“

Monika Haslberger, Vorstandsvorsitzende der Lebenshilfe Freising, eröffnete den Empfang mit herzlichen Begrüßungsworten. Sie hieß die Ehrengäste willkommen und erläuterte, dass der Kontakt zu Jürgen Dusel, dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, bei einem Treffen der Bundesvereinigung zustande gekommen sei.

„Ich möchte allen Mitarbeitenden, Spender*innen, Vertreter*innen der Wirtschaft, der Politik sowie den Lebenshilfen und Selbstvertreter*innen meinen tiefen Dank für ihre Arbeit für die Belange von Menschen mit Behinderungen aussprechen“, sagte Haslberger. Sie betonte, dass die Selbstvertretung in den letzten Jahren immer wichtiger geworden sei. Sorgen bereite ihr jedoch der zunehmende Rechtsruck in der Gesellschaft, der zu Vorfällen geführt habe, die sich gegen Menschen mit Behinderungen richteten.

„Es gibt bedenkliche Entwicklungen“, erklärte Haslberger. „Die AfD hat die Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben abgewertet, und das Klima in der Gesellschaft wird immer rauer. In Mönchengladbach wurde die Lebenshilfe mit einem Steinwurf angegriffen und mit der Botschaft ‚Euthanasie ist die Lösung‘ konfrontiert. Außerdem wurden Hakenkreuze an unsere Werkstätten geschmiert. Maximilian Krah von der AfD bezeichnete Nachrichten in Leichter Sprache als ‚Nachrichten für Idioten‘.“

Trotz dieser negativen Entwicklungen sei man stolz auf die bisher erreichten Fortschritte und entschlossen, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. „Es sind zwar ernste Worte, die ich hier heute spreche, aber wir müssen die Menschen darauf aufmerksam machen, was bei uns in Deutschland los ist“, plädierte Haslberger. Diese Aufforderung wurde vom Publikum mit langanhaltendem Applaus honoriert.

Robert Wäger betont: „Die politische Bildung in unseren Einrichtungen wird immer wichtiger.“

Robert Wäger, der als weiterer Stellvertreter des Landrats und im Namen des Kreisrats sprach, berichtete zunächst kurz von der am Nachmittag vor dem Sommerempfang stattgefundenen Sitzung des Sozialausschusses (Anm. d. Red.: Ausführliche Berichte dazu sind der Tagespresse zu entnehmen.): Dabei wurden über die finanziellen Sorgen des Förderzentrums im BiG diskutiert, das derzeit mit einem Defizit von mehr als 200.000 Euro zu kämpfen habe. Lebenshilfe-Geschäftsführer Johannes Reicheneder hatte zuvor im Ausschuss des Landkreises die existenzielle Notlage verkündet. Eine Übergangslösung sei jedoch gefunden worden: Die noch ausstehenden Rückzahlungen, betreffend das Bildungszentrum Gartenstraße, an den Landkreis in Höhe von 400.000 Euro sollen vorerst ausgesetzt werden, um das Defizit aufzufangen.

„Die finanzielle Situation ist ernst“, sagte Wäger. „Ohne diese Übergangslösung stünden wir vor dem Aus. Wir müssen diese Rückzahlungen aussetzen, um das Defizit aufzufangen.“

Wäger hob zudem im Zusammenhang mit dem großen Thema des Abends die zunehmende Selbstständigkeit von Menschen mit Behinderungen hervor und betonte die Wichtigkeit der politischen Bildung in den Einrichtungen. „Die politische Bildung in unseren Einrichtungen wird immer wichtiger, und wir müssen sie vorantreiben“, so der Stellvertreter des Landrats nachdrücklich.

Inspirierende Rede von Jürgen Dusel: „Inklusion braucht Demokratie – und Demokratie braucht Inklusion.“

Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung Jürgen Dusel war als Ehrengast extra aus Berlin angereist. Er begann seine Rede mit einem humorvollen Einstieg: „Ich selbst bin ein gebürtiger Franke in Oberbayern – das ist gelebte Inklusion!“ Der Behindertenbeauftragte, der dieses Amt 2018 vom Kabinett Angela Merkel und zum zweiten Mal 2022 vom Kabinett Olaf Scholz übertragen bekommen hatte, betonte die Notwendigkeit, über Demokratie zu sprechen: „Inklusion ist kein Modewort, sondern eine Notwendigkeit für eine demokratische Gesellschaft“, so Dusel. Denn Demokratie brauche die Inklusion unweigerlich, um überhaupt demokratisch sein zu können. Personen, die die Inklusion in Frage stellten, versuchten damit auch, die Demokratie in Frage zu stellen.

„Wir leben in einem freien, offenen, diversen und bunten Land“, hob Dusel hervor. Die Inklusion darin zu ermöglichen, darum bat er während seiner Rede alle anwesenden Gäste inständig. Auch wenn es oft unterschiedliche Meinungen zum Begriff ‚Inklusion‘ gäbe, so gehe es doch prinzipiell um die Umsetzung fundamentaler Grundrechte.

Dusel stellte fest, dass 12,5 Millionen Menschen in Deutschland mit einer Beeinträchtigung leben. Diese hätten dieselben Rechte wie alle anderen Menschen auch. „Das demokratische Versprechen ist, dass jeder Mensch gleich viel wert ist“, betonte er. „Es ist nicht nur Aufgabe des Staates, Gesetze zu erlassen oder das Behindertengleichstellungsgesetz zu novellieren, sondern auch dafür zu sorgen, dass diese Rechte im Alltag gelebt werden können.“

Drei wesentliche Bereiche waren dem Gast aus Berlin vor allem wichtig:

Arbeit: Bei seinem ersten Punkt bezog sich Dusel auf die Diskussionen in Bezug auf die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. „Wir müssen über neue Strukturen nachdenken und die Positionen der Betroffenen ernst nehmen. Ich bin nicht dafür, Werkstätten zu schließen, aber Reformen sind notwendig“, so Dusel. Dazu sei es in erster Linie nötig, mit den Betroffenen selbst zu sprechen, also mit Werkstattleitungen, -räten und vor allem den Selbstvertreter*innen. Deren Positionen seien Bedeutung beizumessen.

Medizin / Zugang zum Gesundheitssystem: In einem zweiten Punkt sprach Dusel den Zugang zum Gesundheitssystem für Menschen mit Behinderungen an.  „Das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG), das vor rund vier Wochen vom Bundeskabinett beschlossen wurde, ist ein Schritt in die richtige Richtung.“ Das GVSG, das sich jetzt im parlamentarischen Verfahren befindet, regelt unter anderem die automatische Genehmigung von Hilfsmitteln, wenn diese von einem Medizinischen Zentrum für Erwachsene mit Behinderungen (MZEB) oder einem Sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) verordnet wurden. Damit hoffe man, eine schnellere Hilfsmittelversorgung sicherzustellen, so Dusel. Er ist sich sicher, dass dieses Gesetz die Situation von Menschen mit Behinderungen verbessere. Was hingegen dringend besser geregelt werden müsse, sei der Zugang zum Gesundheitssystem. Frauen im Rollstuhl hätten beispielsweise kaum eine Chance, eine Gynäkologische Praxis zu finden, die ein barrierefreies Behandlungssetting böten; auch für Frauen mit intellektuellen Beeinträchtigungen müssten dringend Barrieren abgebaut werden, so Dusel.

Partizipation: Zum Schluss nannte Dusel die „Partizipation die DNA beziehungsweise das Betriebssystem der UN-Behindertenrechtskonvention“. Menschen mit Behinderungen haben dieselben Erwartungen an ein glückliches Leben wie Menschen ohne Behinderungen. „Wir alle wollen teilhaben, nicht ausgeschlossen werden und uns in die Gesellschaft einbringen. Wir haben da in Deutschland noch eine Menge zu tun“, wies Dusel auf die Missstände hin. Das Ziel müsse es sein, die Barrierefreiheit nach vorne zu bringen. Denn: „Barrierefreiheit ist ein Qualitätsmerkmal eines demokratischen modernen Landes und bereichert dieses“, war sich der Redner sicher.

Diskussion über die Begrifflichkeit „Menschen mit (geistiger) Behinderung“ mit den Selbstvertreter*innen Anja Lackner, Stephan Kraus und Thomas Sturde

In einer von Reicheneder moderierten Diskussion tauschten sich die Selbstvertreter*innen Anja Lackner, Stephan Kraus und Thomas Sturde mit Dusel über die Bezeichnung „Menschen mit (geistiger) Behinderung“ aus. Drei mögliche Positionen gab Reicheneder zur Auswahl: Den Ansatz „die Bezeichnung passt schon“, die Forderung „Wir brauchen einen anderen Ausdruck“ und die Meinung „Einfach weglassen – Mensch ist Mensch“.

Kraus plädierte dafür, den Begriff ganz wegzulassen. „Jeder Mensch ist gleich und hat dieselben Rechte“, sagte er. Dusel dagegen schlug vor, den Begriff „Menschen mit Lernbeeinträchtigungen“ zu verwenden. „Viele Selbstvertreter*innen fühlen sich nicht wohl mit dem Begriff ‚Behinderung‘. Unser Geist kann nicht behindert werden. Wir müssen in erster Linie respektieren, was die betroffenen Menschen wollen“, erklärte er. Sturde sprach sich für „Menschen mit Handicap“ aus, während Anja Lackner „Menschen mit Lernbeeinträchtigungen“ bevorzugte. „‚Behindert‘ hat immer einen negativen Beigeschmack“, so die Meinung der Selbstvertreterin.

Die Diskussion wandte sich überraschenderweise gegen Ende einem persönlichen Thema zu, als Lackner Dusel fragte, ob sich Menschen mit Behinderung auch segnen lassen dürften. „Du bist ja volljährig, also ja!“, antwortete dieser. Oft seien Eltern und Angehörige dagegen, dass sich Menschen mit Behinderung segnen oder trauen lassen – was auch hier ganz klar die Selbstbestimmtheit in Frage stellt. Dusel versicherte Lackner: „Meinen Segen hast du! Menschen mit Behinderung sind auch selbstbestimmt!“ Inklusion sei seiner Meinung nach absolut eine Frage der Herzensbildung.

Abschließende Gedanken von Robert Wäger: „Wie entwickeln wir uns als Organisation weiter?“

In seinen Abschlussworten betonte Wäger, der nun in seiner Funktion als stellvertretender Vorsitzender der Lebenshilfe die Bühne betrat, die Notwendigkeit, die Organisation ‚Lebenshilfe‘ weiterzuentwickeln und den Einfluss von Menschen mit Behinderungen weiter zu stärken. „Wie entwickeln wir uns als Organisation von Menschen mit Lernbeeinträchtigungen weiter?“, stellte er die offene Frage ins Publikum.

Wäger empfand die vorangegangene Diskussion als große Anregung und rief dazu auf, öfter den Rat der Selbstvertreter nach dessen Meinung zu bestimmten Themen zu befragen und generell – etwa auch in der Kommunalpolitik – die Partizipation von Menschen mit Behinderungen zu fördern. „Wir müssen den Mut haben, uns Hilfe von den Menschen zu holen, um die es bei den Diskussionen geht. Wir müssen auch die Wirtschaft auffordern, die Partizipation von Menschen mit Behinderungen einfach mal auszuprobieren“, forderte er.

Zum Abschluss ehrte Wäger Haslberger zu deren Überraschung noch für ihr 25-jähriges Jubiläum als Vorstandsvorsitzende der Lebenshilfe Freising. „Monika Haslberger ist unser Aushängeschild“, sagte er. „Sie ist sowohl bei der Bundesvereinigung als auch im Landesverband aktiv. Die erste Ehrung findet heute statt, eine größere Ehrung folgt bei der Mitgliederversammlung im November.“

Haslberger bedankte sich für den langanhaltenden Applaus und betonte die freundschaftliche Zusammenarbeit im Vorstand. „Die 25 Jahre sind schnell vergangen, weil ich so gerne Teil der Lebenshilfe-Familie bin“, sagte sie. „Ich freue mich auf die Vorstandssitzungen, auch wenn ernste Themen zu besprechen sind. Wir sind uns alle freundschaftlich verbunden und das macht Freude.“

Für feine Blasmusik und eine launige musikalische Untermalung des Abends sorgte die „Moosach Blosn“

Für die musikalische Untermalung während des Sommerempfangs und launige Unterbrechungen zwischen den Reden sorgte die Quintettbesetzung der Stadtkapelle Freising, bekannt als „Moosach Blosn“, die mit Blasmusik zur angenehmen Atmosphäre des Abends beitrugen.

Wussten Sie schon, dass die Lebenshilfe Freising …

… bereits seit 26. Juni 1968 und damit seit über 56 Jahren existiert?

… über 1.200 Menschen mit Behinderung im Landkreis begleitet?

… über 700 hauptamtliche Mitarbeitende beschäftigt?

Von der Frühförderung über Krippen und Kindergärten, Horte und Schule bis hin zu Wohn- und Arbeitsstätten zählen rund 35 Einrichtungen in der Region zum Lebenshilfe-Verein. Damit setzen wir uns für eine Gesellschaft ein, in der Menschen mit und ohne Behinderung miteinander gleichberechtigt und selbstbestimmt leben können.

1974 - 2024: 50 Jahre Isar-Sempt-Werkstätten

2024 feiert die Isar-Sempt-Werkstätte ihr 50-jähriges Jubiläum. Dieses wird am Samstag, den 21. September 2024, von 10:30 Uhr bis 15:30 Uhr in der Gartenstraße 40 gefeiert. Freund*innen, Interessierte und Angehörige sind herzlich willkommen. Es erwarten Sie Livemusik mit Safado um 13:00 Uhr, Schmankerl von der Metzgerei Karl aus Zolling, ein Schankwagen der Brauerei Weihenstephan sowie Rundgänge durch die Werkstatt.

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